
Im KorruptionsgewitterVon René Lenzin, Mailand. Aktualisiert am 21.03.2012 4 Kommentare
Zwanzig Jahre nach der Parteispendenaffäre Mani pulite erschüttern neue Bestechungsskandale Italiens Politik. Im Zentrum steht für einmal nicht der Süden, sondern der Norden des Landes.
Fast täglich trifft sich derzeit der italienische Premier Mario Monti mit den Spitzen der grossen Parteien, um mehrheitsfähige Reformen aufgleisen zu können. Ganz oben auf der Traktandenliste stehen Liberalisierungen, der Arbeitsmarkt – und schärfere Gesetze gegen die Korruption. Dass Letzteres dringend nötig ist, zeigt ein Blick in die Medien.
In Neapel haben Staatsanwälte soeben 16 mutmasslich gekaufte Richter verhaftet, die bei Steuerrekursen systematisch zugunsten von Clanchefs der Camorra entschieden haben sollen.Mafia, gekaufte Richter – nichts Neues im Süden, ist man versucht zu sagen. Den jüngsten Meldungen zum Trotz befindet sich das Epizentrum der italienischen Korruptionsskandale allerdings nicht in Kalabrien, Sizilien oder Kampanien, sondern in der Lombardei, der bevölkerungsreichsten Region des Landes und dessen wirtschaftlicher Motor. Gegen nicht weniger als 10 von 80 Regionalparlamentarier laufen derzeit Ermittlungen, und in 9 dieser 10 Fälle geht es um Bestechung, Amtsmissbrauch oder illegale Parteienfinanzierung.
Postskriptum zur ersten RepublikNun zeigt sich immer deutlicher, dass die darauf folgende Ära Berlusconi kein Neuanfang, sondern nur ein Postskriptum zu dieser ersten Republik war. Noch bevor im Januar die Gedenkanlässe zu 20 Jahren Mani pulite begannen, war ein weiterer Politskandal ausgebrochen. Der Senator und Kassier der früheren Christlichsozialen Partei Margherita, Luigi Lusi, soll für persönliche Zwecke mindestens 13 Millionen Euro aus der Parteikasse abgezweigt haben. Die Affäre zeigte: Am System der intransparenten und unkontrollierten Parteienfinanzierung hat sich nichts geändert, im Gegenteil. Die Margherita erhielt auch nach 2007 staatliche Gelder, als sie längst im Partito Democratico aufgegangen war. Und sie war kein Einzelfall.
Dass sich viele der jüngsten Affären in der Lombardei abspielen, ist für Beobachter kaum erstaunlich. Sie bringen die Skandale mit Roberto Formigoni (64) in Verbindung, der die Region seit 1995 präsidiert. Ursprünglich Christdemokrat, gilt Formigoni seit langem als starker Mann von Berlusconis Popolo della Libertà (PDL) im Norden. Zusammen mit dem Koalitionspartner Lega Nord beherrsche er die Lombardei nach Belieben und habe sich ein gigantisches System der Günstlingswirtschaft aufgebaut, kritisieren seine Gegner. Zu Formigonis Netzwerk zähle auch die katholisch-konservative Bewegung Comunione e Liberazione, der er selbst angehört.
Mit wortklauberischen Formulierungen weist Formigoni die Vorwürfe zurück. Die aktuelle Regierung der Lombardei sei von den jüngsten Ermittlungen ja nicht betroffen, sagt er etwa. Oder: Es handle sich um individuelles Verschulden, die Region sei unter den Geschädigten und werde sich in allfälligen Prozessen als Zivilpartei konstituieren. Worauf ihm die Tageszeitung «La Repubblica» vorrechnete, dass gegen mindestens vier seiner früheren Assessoren wegen illegaler Parteienfinanzierung oder Korruption ermittelt werde.
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